2023 klingt PIPPA poppiger denn je, versteht es aber, dabei immer sie selbst zu bleiben und sich nicht musikalisch anzubiedern. Doch neben dem Pop kommt auf “Blick” auch die melancholischere, ruhigere Seite der vielseitigen Künstlerin nicht zu kurz.
Die neuen Songs sind mit Mario Fartacek und Moritz Kristmann produziert worden und entstanden teilweise parallel an den Arbeiten zur EP “Geister”.
Nach ihrer Single „Feuer“, die am 19.05. als letzter Vorbote erschien, veröffentlicht PIPPA am 26.05.23 ihr Album „Blick“. In „Feuer“ nähert sich die Musikerin in gewohnt differenzierter Weise einem komplexen Thema an. So geht es um die Ambivalenz einzelner Dinge. Dabei steht das Feuer für eine Kraft, der viel Macht zufällt. So bedroht es einerseits – die Klimakatastrophe symbolisierend – unsere Umwelt. Andererseits pulverisiert es alten Ballast, der dadurch abfällt.
Getragen werden PIPPAs Gedanken von einem treibenden Instrumental, das vielschichtige Percussion, Up Tempo Drums und verzerrte Gitarren vereint.
„Feuer“ entstand zusammen mit Giovanna und Mario Fartacek, zwei Kollaborateur*innen, die auch einige andere Stücke des Albums mitgestalteten.
Nach zwei EPs in ebensovielen Jahren ist „Blick“ – knapp drei Jahre nach „Idiotenparadies“ – bereits das dritte Studioalbum von PIPPA. Die in Wien lebende vielseitige Künstlerin, die sich auch als Malerin und Schauspielerin kreativ betätigt, hat dabei eine Idee umgesetzt, die sie schon seit geraumer Zeit beschäftigt.
Denn auf „Blick“ setzt PIPPA sich textlich mit dem Wechsel der Perspektive und somit der Möglichkeit alternativer, verschiedener Wege und Blickwinkel auseinander. Jeder Song ist also aus einer anderen Perspektive geschrieben.
PIPPA selbst nennt „Blick“ ein „Konzeptalbum“. Was ihrem Management und Label zunächst Schweissperlen auf die Stirn getrieben hat, ist der Terminus doch untrennbar mit dem Prog-Rock der 70er verbunden. Musikalisch aber hat „Blick“ nichts damit gemein. Hier gibt es keine minutenlange Gitarren- oder Schlagzeugsoli, keine symphonischen Ausflüge und auch textlich gelingt es PIPPA, sich selbst und ihren Themen treu zu bleiben.
Verantwortlich dafür, dass die Musik auf „Blick“ sich ebenfalls wandelt, sich nämlich dem poppigeren Ende des Spektrums annähert, ist auch die Tatsache, dass PIPPA sich für die Produktion des Albums teils mit neuen Mitstreitern umgeben hat. Produziert worden ist das Album zum grössten Teil von Mario Fartacek, seines Zeichens eine Hälfte von Mynth. Zudem hat Moritz Kristmann, mit PIPPA bereits seit der EP „Geister“ vertraut, bei einigen Songs die Produktion übernommen.
Diese Veränderung ist unüberhörbar. Poppiger, eingängiger und tanzbarer denn je zuvor sind Titel wie „Alles ok“, „Feuer“ oder „Wilder Sturm“. Und mit „Schön“ findet sich auf „Blick“ – einem Duett mit Berglind – auch Platz für Elektronik und experimentellere Töne.
PIPPA und ihr Team verfallen auf „Blick“ allerdings nicht in dem Fehler, um der Zugänglichkeit Willen den künstlerischen Anspruch zu vernachlässigen. So bietet „Blick“ genügend Platz und Raum für melancholische und nachdenkliche Momente und Texte, die PIPPA immer mit ausmachen, und diese fügen sich harmonisch in das Gefüge des neuen Albums ein.
Mit „Blick“ veröffentlicht PIPPA jedenfalls ein hörenswertes und spannendes Stück Alternative Pop, das in seinen zehn Titeln unterstreicht, wie lohnenswert es sein kann, die eigene Komfortzone zu verlassen und den eigenen Standpunkt, die eigene Perspektive zu hinterfragen. Bestenfalls entdeckt man sich – wie PIPPA hier – neu. Und das ist das schönste Kompliment, das man den zehn Songs von „Blick“ machen kann.
PIPPA stellt Blick am 24.05.2023 um 20:00 im Radiokulturhaus Wien vor. Als Special Guest lädt sie Giovanna Fartacek aka Berglind ein. Tickets für das heutige Konzert gibt es hier!
PIPPAs GEDANKEN ZU „BLICK“, SONG FÜR SONG
KIND/ZUKUNFT
Der Blickwinkel eines Kindes, das in die Zukunft schaut. Vielleicht lebt es auch im Tagtraum, oder ist bereits in der Zukunft. Das Kind könnte auch eine Art Medium sein.
Es stellt sich eine Welt vor, in der alles Überflüssige zu Asche verbrannt ist. Es gab wohl eine Atom-Explosion. Keine Stadt existiert mehr. Nur das Meer, nur die Erinnerung an eine Zivilisation. Die Natur hat sich alles zurückerobert, was die Menschheit so viele Jahrtausende kontinuierlich zerstört hat („aus dem Asphalt wachsen Blumen wächst ein Wald“). „Sprache im Kopf“ bedeutet, dass die Wesen, die noch leben, telepathisch miteinander kommunizieren. Das Kind spricht von einem „DU“, das es beschützt. In einem Glaspalast lebend, hat es immer die schützende Hand auf das Kind gehalten.
ALLES OK
Ist das positive Pendant zu „Glas halb leer“. Es beschreibt den optimistischen und zuversichtlichen Blick aufs Leben, auf eine Lebensphase oder Situation. Die Gespenster „Angst“ und die Vergangenheit werden voller Vertrauen losgelassen. Es ist auch eine Aufforderung, sich in ein Abenteuer zu stürzen, gemeinsam, ohne Plan. Ohne jemandem zu verraten, wohin die Reise geht. Ein Appell, im Moment zu leben.
HOCH HINAUS
Hier geht es um die Vogelperspektive.
Der Vogel, der aus einiger Distanz und in aller Ruhe von oben fliegend seit Jahren die Menschheit beobachtet. Eine Anklage auch, wurde er immer nur verscheucht von ihnen, nicht wertgeschätzt, nicht gesehen. Er sieht alles, ist in aller Bescheidenheit überlegen. Er blickt in die Herzen der Menschen, sieht ihre inneren und äußeren Kämpfe, während er einfach nur immer weiter seine Kreise zieht. Die Kinder sind seine einzigen Freunde. Sie blicken immer wieder in den Himmel hinauf und freuen sich über den Vogel.
ICH STEH AUF MEINEM KOPF
Der Blick auf die Veränderung per se. Einem Ding beim „sich verändern“ zuschauen.
Ich beschreibe, was dieses Verändern mit jemandem machen kann. Was auch die kleinste Veränderung für weitreichende Konsequenzen haben kann. Wie man sich selbst verändert, wenn man die Perspektive wechselt, findet man sich mitunter in einer neuen Welt wieder. Es wird nicht bewertet, nur beobachtet. „Vielleicht nur ein Blick aus einer anderen Welt, der es unmerklich verändert hat“, holt den anderen Blickwinkel rein, der alles auf den Kopf stellt, alles „wegfiltert“, was überflüssig ist.
GLAS HALB LEER
Das traurige Herzstück des Albums, die düstere Perspektive aufs Leben. Die Depression. „Du bist schön, aber ich kanns nicht sehen“ – nicht aus dieser Perspektive heraus, die verschleiert ist von den eigenen Dämonen („dunkles Getier trollt sich auf klebrigem Asphalt“). Vielleicht eine Erinnerung an früher: „wir waren gut, alles zu seiner Zeit“, aber die Erkenntnis, dass eben auch hier wieder der Blickwinkel den Unterschied macht: „Des einen Glück – des andren Leid“.
FREMDE AUGEN
Hier habe ich versucht, die Dynamik eines nicht enden wollenden Konflikts zwischen einem Paar zu beschreiben. Die zwei Seiten, die es nicht schaffen, aus ihren immer wieder-kehrenden Floskeln und Mustern herauszufinden. Erst wenn sie es schaffen „durch fremde Augen“, also durch die Augen der anderen Person zu sehen, können sie lernen sich zu verstehen. Der Perspektivenwechsel ist die einzige Chance, Empathie für das jeweilige Gegenüber zu entwickeln. Im Song hört man auch immer wieder die destruktiven Formulierungen wie „Du immer / Nie verstehst du …“ – der Chorus ist aber durchaus optimistisch, weil da die Chance erkannt wird, herauszutreten: „treten raus, treten hinaus aus diesem Pattern, das nichts zu tun hat mit uns, was willst du hier noch retten, aus diesem Raum, der viel zu lang zu laut, der auf Missverständnissen gebaut“.
SCHÖN
Es geht um den Blick auf den eigenen Körper, wobei hier der kritische Blick gemeint ist. Für dieses Thema habe ich Giovanna Fartacek, alias Berglind eingeladen, weil wir beide eine ähnliche Vergangenheit teilen. Wir hatten beide schwere Essstörungen in unserer Pubertät und auch noch danach. Im gemeinsamen Austausch darüber haben wir beschlossen, dem Themas einen Song zu widmen, weil es auch hier viel um den Blickwinkel geht. Sich selbst gegenüber nimmt man sich viel kritischer, ja geradezu verzerrt wahr, das Gegenüber kann man leichter in seiner Schönheit erkennen als sich selbst. Durch Socialmedia ist das Thema nochmal präsenter und universeller geworden, es dreht sich ja fast alles um die Selbstdarstellung, um das perfekte Äußere um die ständige Selbstbespiegelung. Obwohl das Thema so schwer ist und uns ein sehr persönliches, oder vielleicht grade deshalb, wollten wir hier der Schwere zum Trotz musikalisch voll dagegen arbeiten und einen Clubtrack produzieren, der auch ohne den inhaltlichen Unterbau funktioniert und hoffentlich viele, auch junge ZuhörerInnen, die eventuell betroffen sind, einlädt auf unsere Reise.
STÜCK FÜR STÜCK
Die Perspektive der jungen Generation, die sich von der älteren Generation ihrer Wünsche, Hoffnung und Sehnsüchte beraubt fühlt. Sie sind es, die endlich ein Bewusstsein für eine bessere Welt haben, für ein besseres Klima und eine Zukunft ohne Kriege. Aber sie müssen erst noch den Haufen Scherben beseitigen, den ihre Vorfahren ihnen hinterlassen haben. Sie, die Jungen, nehmen auch wahr, dass die „Erwachsenen“ ihnen etwas sagen wollen, aber die Sprachen sind einander einfach zu fremd. Sie holen sich ihr Glück schon noch zurück, Stück für Stück. An einem anderen Tag.
FEUER
Wenn ich über Perspektiven spreche, dann möchte ich auch deutlich machen, dass ein Ding, ein Thema, eine Situation fast immer ambivalent ist und es auch in der eigenen Entscheidungsfreiheit liegt, den Blick zu lenken. So ist der Song „FEUER“ stellvertretend für die Kraft, alles zu zerstören, aber auch gleichzeitig alles zum Positiven verändern zu können. Wie das Feuer. Es ist gefährlich und vernichtend, gleichzeitig auch reinigend, wärmend und erneuernd. Das Lied ist nicht wertend in eine Richtung gemeint. Es schwingt mit, dass der Wald brennt, angesichts der spürbaren Auswirkungen des Klimawandels, dass es also 5 vor 12 ist. Aber es kann auch bedeuten, dass Altes endlich losgelassen wird und man sich einfach an dem großen hellen Feuer erfreut, das dadurch entsteht.
WILDER STURM
Hier erzählt ein Toter, der sein Leben betrachtet, es nochmal Revue passieren lässt. Da tauchen viele traurige Momente und Erkenntnisse auf, aber am Ende ist das nicht schlimm, weil er doch jetzt endlich Ruhe gefunden hat. Die stürmischen Bilder, die ja angeblich im Sterbemoment nochmal in großer Geschwindigkeit vorbeiziehen, kommen endlich zur Ruhe. Und letztendlich war alles was es WAR und man findet seinen Frieden im Akzeptieren.
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