BILANZ UND PREISTRÄGER DER VIENNALE 2025

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BILANZ UND PREISTRÄGER DER VIENNALE 2025


Die 63. Viennale feiert ihren offiziellen Abschluss heute Dienstag, 28. Oktober 2025, mit der Gala-Vorführung des Films GEU JAYEONI NEGE MWORAGO HANI (WAS DIESE NATUR DIR SAGT) von Hong Sangsoo.

Die cineastische Aufregung und Spannung, die sich in der Viennale-Zeit über die Stadt legt, schlägt sich auch in den Besucher:innenzahlen nieder. In den 13 Festivaltagen wurden 78.600 Tickets für Filmvorführungen der Viennale verkauft, was einer Auslastung von 78,3% entspricht. Damit konnten in diesem Jahr 2.800 Kinokarten mehr abgesetzt werden als im Vorjahr.

„Diese Ausgabe war schlicht überwältigend“, blickt Viennale Direktorin Eva Sangiorgi begeistert auf das Festival zurück. „Ich spürte eine lebendige Energie, einen fortwährenden Dialog zwischen den Filmen im Programm, dem Publikum und den Gästen. In diesem Jahr waren es besonders viele – und sie alle zeigten große Offenheit und Großzügigkeit. Das Bedürfnis, sich mit unserer Zeit auseinanderzusetzen, ist enorm, und das Kino erweist sich dabei als ein einzigartig starkes und privilegiertes Medium. Die Viennale ist der ideale Ort, an dem all das geschehen kann. Sie hat uns dreizehn Tage lang zusammengeführt – und das hat eine tiefe Bedeutung und unbestreitbare Relevanz.“

Der Reigen an außergewöhnlichen Momenten dieser Festivalausgabe begann schon bei der Eröffnung. „Die Viennale ist immer die schönste Erzählung eines Filmjahres“, hatte der deutsche Filmemacher Christian Petzold lobende Worte vorausgeschickt, als er im vergangenen Mai als neuer Viennale Präsident vorgestellt wurde. Nun war er persönlich in Wien, eröffnete im Gartenbaukino besagte Erzählung mit seinem wunderbaren neuen Film MIROIRS NO. 3 und begeisterte in den Tagen danach Publikum und Presse mit klugen Gedanken zu Kino und dem Zustand der Welt wie auch mit feinem Humor.
Besondere Aufmerksamkeit haben natürlich die großen Namen auf sich gezogen, Weltstars des Films, die allerdings eines gemeinsam haben: echte Liebe für das Kino. So verwundert es nicht, dass Juliette Binoche, John C. Reilly und Willem Dafoe ihren Aufenthalt in Wien und ihre Viennale-Screenings sehr genossen und das Festival für seine Filmleidenschaft und sein cinephiles Publikum zu schätzen wussten und dies auch zum Ausdruck brachten.

Ein ganz speziell aufgeladenes Highlight war daher auch die Premiere von THE SOUFFLEUR in Anwesenheit von Willem Dafoe, der diesen Film hier in Wien vor einem Jahr mit Regisseur Gastón Solnicki gedreht hat, mit dem Hotel Intercontinental als zentralem Protagonisten. Dafoe ließ es sich darüber hinaus nicht nehmen, unangekündigt auch bei LATE FAME von Kent Jones vorbeizuschauen, um beim Q&A nach dem Screening mitzumachen.

Viele weitere Größen des Weltkinos gaben uns in diesem Jahr die Ehre und präsentierten ihre Filme persönlich in Wien. Mascha Schilinski, deren außergewöhnlicher Film IN DIE SONNE SCHAUEN u.a. in Cannes prämiert wurde und für Deutschland ins Oscar-Rennen geschickt wird, kam genauso nach Wien wie die deutsche RegieIkone Edgar Reitz mit dem aktuellen Film LEIBNIZ – CHRONIK EINES VERSCHOLLENEN BILDES – mit dabei die herausragenden Schauspieler:innen Aenne Schwarz und Viennale-Fan Lars Eidinger, der es sich ein weiteres Mal nicht nehmen ließ, eine der Festival-Parties als DJ zu rocken.

Während der italienische Filmemacher Pietro Marcello mit seinem neuen Film DUSE, der drängende Fragen nach dem Verhältnis von Kunst und Politik stellt, für ein weiteres cineastisches Highlight sorgte, begeisterte die herausragende argentinische Regisseurin Lucrecia Martel Publikum und Presse mit ihrem ersten Dokumentarfilm NUESTRA TIERRA, in dem sie das koloniale Erbe Argentiniens untersucht, und einem spannenden ausführlichen Talk über das Drehbuchschreiben im Metro Kinosalon. Der war, wie auch die beiden anderen dort stattfindenden Gespräche, komplett ausreserviert. Kein Wunder: einerseits diskutierten die Filmemacher:innen Eva Neymann, Olga Kosanović und Lisa Polster mit Andrea Ernst über filmische Formen des Widerstands, andererseits konnte man eine der herausragendsten Regisseurinnen des aktuellen Genrekinos live im Gespräch erleben: Julia Ducourneau, die ihren aktuellen Film ALPHA in Wien präsentierte.

Neben den vielen „großen“ Filmen im Hauptprogramm, die wie erwartet Publikumsmagneten waren, u.a. Yorgos Lanthimos BUGONIA, Jim Jarmuschs FATHER MOTHER SISTER BROTHER oder AFTER THE HUNT von Luca Guadagnino, um nur einige zu nennen, wurden auch die als „kleiner“ empfundenen Programme großartig vom Wiener Publikum aufgenommen. So konnte das vom Filmarchiv Austria kuratierte Programm zur österreichischen Filmemacherin Angela Summereder genauso durch sehr gute Auslastung überzeugen wie die Historiografie: Newly Restored und die äußerst spezielle Kinematografie GASPERCOLOR, die unsere Erwartungen deutlich übertraf.

In diesem Zusammenhang muss das außergewöhnliche Programm zur niederländischen Filmemacherin Digna Sinke besonders gewürdigt werden, das für viele heimische wie auch internationale Kinofreund:innen zu einer echten Entdeckung wurde. Es wurde viel darüber gesprochen, und auch die internationale Branche nahm dies zur Kenntnis – angeblich sind schon Retrospektiven von Sinkes Werk in anderen Ländern geplant!

Als einen ganz besonderen Höhepunkt muss die diesjährige Retrospektive von Viennale und dem Österreichischem Filmmuseum hervorgehoben werden. Das Werk des französischen Filmemachers Jean Epstein, der eine Brücke zwischen avantgardistischen Experimenten und poetischem Realismus schlug, ist an sich schon ein besonderer Genuss und kaum im Kino zu sehen. In Wien wurde aber jeder seiner Stummfilme von ausgewählt guter LiveMusik begleitet – eine echte cineastische Sensation, die begeistert aufgenommen und über die viel gesprochen wurde.

PREISTRÄGER:INNEN DER VIENNALE 2025

WIENER FILMPREIS
Der Wiener Filmpreis, eine von der Stadt Wien gestiftete und im Rahmen der Viennale vergebene Auszeichnung, gilt einem aktuellen österreichischen Langfilm, der im vergangenen Jahr zur Aufführung gelangte. Die Dotierung dieses Preises besteht aus einem Geldbetrag, der vonseiten der Kulturabteilung der Stadt zur Verfügung gestellt wird, und einer monetären Unterstützung vom Hotel The Harmonie Vienna. Neben dem Preis für den besten österreichischen Film wird beim Wiener Filmpreis auch
der Spezialpreis der Jury vergeben.

Bester österreichischer Film
PERLA, Alexandra Makarová, Österreich, Slowakei 2025
Jurybegründung: Dieser perfekt inszenierte Film zieht einen von der ersten Sekunde an in seinen Bann. PERLA ist ein Werk, das man nicht nur sehen und hören, sondern auch riechen kann – und das einen mit Sicherheit bewegen wird. Es kommt seltenmvor, dass eine Künstlerin in einem Spielfilm gezeigt wird, und noch seltener, dass Beziehungen zwischen Müttern und Kindern auf realistische, organische, humorvolle und berührende Weise dargestellt werden. Aber diese beiden Aspekte sind nur die Spitze des Eisbergs des facettenreichen Films PERLA. Dieses Drama, das sich langsam zu einem Thriller über staatliche Unterdrückung wandelt, wagt eine komplexe Herangehensweise bei der Darstellung jenes Orts, aus dem Perla einst floh. Es ist ein meisterhafter Film über Identität und die vielen Gesichter des Kalten Krieges.

Spezialpreis der Jury
GIRLS & GODS, Arash T. Riahi & Verena Soltiz, Österreich, Schweiz 2025

Jurybegründung: Der Ansatz scheint zwar einfach zu sein, aber wann haben Sie das letzte Mal über ein Thema mit einer Person diskutiert, von der Sie wussten, dass sie Ihnen widersprechen würde? Inna Schewtschenko widmet sich der komplexen Thematik der Beziehung zwischen Feminismus und Religion. GIRLS & GODS ist fesselnd und ein Augenöffner, und mit seiner lockeren Herangehensweise und seinem Pop-Appeal predigt der Film nicht zu Bekehrten, sondern lädt alle ein, daran teilzuhaben. GIRLS & GODS widersetzt sich auch einer gängigen Konvention unter Dokumentarfilmschaffenden, die sich mit komplexen Themen befassen: das Publikum mit einem Gefühl der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit zurückzulassen. Schewtschenkos Aktivismus ist ebenso ansteckend wie ihre Furchtlosigkeit.

VIENNALE-PREIS DER STANDARD-PUBLIKUMSJURY
DER STANDARD organisiert auch dieses Jahr wieder den Preis der Standard-Publikumsjury. Die Juror:innen wählen aus den Festivalbeiträgen einen Film aus, der noch keinen Verleih in Österreich hat. Findet der ausgezeichnete Film in der Folge einen Vertrieb, unterstützt DER STANDARD den Filmstart mit kostenlosem Anzeigenraum in der Zeitung.

Der VIENNALE-PREIS DER STANDARD-PUBLIKUMSJURY geht an
LATE FAME, Kent Jones, USA 2025
Jurybegründung: In LATE FAME, einer nach New York versetzten, losen Adaption einer Novelle von Arthur Schnitzler, lässt Kent Jones künstlerische Nostalgie und die rastlose Selbstinszenierung gegenwärtiger Kunstschaffender kollidieren. Zwischen Postamt und Cocktailbars, Influencern und der Suche nach ästhetischer Bedeutung ringt der ehemalige Dichter Ed Saxberger mit seiner längst begrabenen Schriftstellerei, während die Enthusiasm Society eine romantisierte Bohème beschwört. Mit scharfem Witz entlarvt Jones den Geniekult als Pose und erinnert daran, dass Kunst nur dort lebt, wo Eitelkeit verstummt und Zweifel sprechen dürfen.

Special Mention
HEMME’NIN ÖLDÜĞÜ GÜNLERDEN BIRI (ONE OF THOSE DAYS WHEN HEMME DIES),

Murat Fıratoğlu, Türkei 2024

FIPRESCI PREIS (PREIS DER INTERNATIONALEN FILMKRITIK)
FIPRESCI, der Internationale Verband der Filmkritiker:innen, wurde 1930 gegründet. Der Verband hat sich der Pflege journalistischer Ethik verschrieben und vertritt die professionellen Interessen seiner Mitglieder. Die Mitglieder der FIPRESCI kommen aus aller Welt und finden sich in kleinen Jurys auf zahlreichen Filmfestivals ein, um den Preis des Internationalen Filmkritikerverbandes zu vergeben. Meist wählen sie dabei – wie bei der Viennale – aus einer Reihe von ersten und zweiten Features junger Filmemacher:innen.

Der FIPRESCI-Preis geht an
BLKNWS: TERMS & CONDITIONS, Kahlil Joseph, USA, Ghana 2025
Jurybegründung: BLKNWS: TERMS AND CONDITIONS ist ein verspieltes visuelles Album, das sich wie ein Techno-Score entfaltet und neue Perspektiven auf ein wichtiges und dringendes Thema eröffnet, das in der Geschichte viel zu lange vernachlässigt wurde. Der Film regt uns dazu an, zu lernen, Ansichten aus dem Gedächtnis zu löschen und umzudenken. Kreativ und humorvoll zugleich, bereichert er die Welt des Kinos auf persönliche und innovative Weise. Es gibt Überraschungen auf Schritt und Tritt, da Fakten und Fiktion mit Selbstironie, einem würdevollen Selbstbewusstsein und einer tiefgründigen Intelligenz über
das Medium Film und die Geschichte als Konstrukt verwoben werden. Darüber hinaus ist BLKNWS ein Anti-Klischee – eine dringend notwendige Herausforderung für die Hegemonie weißer westlicher Narrative. Der Film lässt uns mit großer Neugierde zurück, was uns der Regisseur als Nächstes präsentieren wird.

ERSTE BANK FILMPREIS – Vermehrt Schönes!
Zum 15. Mal wird heuer der von der Erste Bank initiierte und gestiftete Erste Bank Filmpreis in Zusammenarbeit mit der Viennale, dem Deutschen Haus at NYU und dem Anthology Film Archives vergeben. Die Preisträger:innen werden unter den bei der Viennale präsentierten österreichischen Filmproduktionen von einer unabhängigen Jury ausgewählt. Der Filmpreis ermöglicht einen Aufenthalt der Preisträger:innen in New York City, verbunden mit einer Präsentation ihrer Arbeiten im renommierten Anthology Film Archives.

Der ERSTE BANK FILMPREIS geht an zwei Produktionen
WHITE SNAIL, Elsa Kremser, Levin Peter, Österreich, Deutschland 2025

Jurybegründung: WHITE SNAIL ist ein Film über zwei Außenseiter, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Masha durchläuft eine Ausbildung zu einem Model, um dem tristen Alltag in Minsk entgehen zu können, während Misha in einer Leichenhalle arbeitet. Beide finden auf ungewöhnliche Weise zueinander und es entwickelt sich eine fragile Liebesbeziehung, in der Schönheit und Tod – Eros und Thanatos – eng miteinander verwoben sind. Die Welt, in der sich die beiden Protagonist:innen wiederfinden, ist kalt und den Empfindungen feindlich, die beide füreinander entwickeln. In sensibel gestalteten Begegnungen,
die von den beiden Darsteller:innen brillant verkörpert werden, wächst eine Liebesbeziehung, die Gegensätze des Milieus, des Alters und der Lebensplanung der beiden Charaktere ausblendet. Starke Kontraste und symbolische Bilder nehmen die Zuschauer:innen auf eine märchenhafte Reise des Paares mit. Nach nächtlichen Spaziergängen durch Minsk gipfelt die Erzählung in einem fast mystischen Waldausflug, bei dem die widersprüchlichen Gefühle der beiden ihren Höhepunkt erreichen. Der
Film schafft es, die Emotionen sensibel aber auch direkt darzustellen und wird niemals langweilig. Die Protagonist:innen, die beide zum ersten Mal als Schauspieler:innen auftreten, überzeugen durch eine beeindruckende Präsenz und Authentizität. WHITE SNAIL ist ein Film auf der Höhe der Zeit – erfrischend und ehrlich. Trist und zugleich hoffnungsvoll werden eine feindliche Außen- und eine fragile Innenwelt gezeigt. In diesen gilt es zu überleben und seinen eigenen Weg zu finden.

ROJO ŽALIA BLAU, Viktoria Schmid, Österreich 2025
Jurybegründung: Viktoria Schmids ROJO ŽALIA BLAU ist eine Landschaftsstudie, die in den Wäldern und an den Küsten Spaniens, Litauens und Niederösterreichs gedreht wurde und bei der eine einfache, aber evokative Technik zum Einsatz kam: Farbseparation (die Basis des Technicolor-Verfahrens aus dem Goldenen Zeitalter Hollywoods), bei der dieselbe Szene in Schwarz-Weiß unter Verwendung von drei verschiedenen Farbfiltern gefilmt und danach durch ebendiese Filter gedruckt wird, sodass ein volles Spektrum sichtbarer Farben entsteht. Da Schmid denselben Filmstreifen allerdings dreimal nacheinander
ablichtet – statt gleichzeitig, wie beim „echten“ Technicolor – schafft sie ein außergewöhnliches, verblüffendes visuelles Erlebnis, bei dem die Farben je nach Ausmaß der Bewegung innerhalb der Landschaft oder zwischen den Aufnahmen synchron oder asynchron erscheinen. Die Technik des Films ist weitaus mehr als ein formales Experiment: Sie wird im Grunde zu einer Art und Weise, Zeit zu fotografieren, wobei drei verschiedene Temporalitäten in einem einzigen (berauschenden) Bild übereinandergeschichtet und nur durch die Bewegung von Wind, Wellen, Sonne und Schatten sichtbar gemacht werden. Aufgrund der erstaunlichen Verschmelzung von Farbe, Bewegung, Zeit und philosophischer Untersuchung hat ROJO ŽALIA BLAU auch eine besondere Resonanz in einer Ära, in der es besonders wichtig geworden ist, den Raum zwischen „Wahrheit“ und Bild zu erkunden.

viennale.at

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