Die 14. Ausgabe von achtung berlin – new berlin film award ist erfolgreich zu Ende gegangen. Acht Tage voller großartiger Filme, spannender Gäste, aufschlussreiche Gespräche und nächtelanger Filmpartys.
D I E P R E I S T R Ä G E R
BESTER SPIELFILM
Der new berlin film award in der Kategorie Bester Spielfilm dotiert mit einem Preisgeld von 3000 Euro in bar, gestiftet von der Audi City Berlin
REISE NACH JERUSALEM
Regie: Lucia Chiarla
Begründung der Jury Spielfilm: Die Vergabe des Preises für den besten Film ist uns als Jury eine Herzensangelegenheit, wie es der Regisseurin von REISE NACH JERUSALEM und ihrem gesamten Team wohl eine Herzensangelegenheit war, genau diesen Film zu machen und diese Geschichte zu erzählen, die wir in ihrer Konsequenz so noch nie gesehen haben.
Reise nach Jerusalem ist ein gut beobachteter, aus dem Leben gegriffener, emotional inszenierter und absolut uneitler Film, der einen zwischen Lachen und Weinen auch nach Verlassen des Kinos noch nicht entlässt.
Dem Film gelingt die Gratwanderung ein dringliches Problem in unserer Gesellschaft leichtfüßig und mit viel Humor so aufzugreifen, dass man sich als Zuschauer ganz darauf einlässt. Wir wurden unterhalten und gleichermaßen zum Nachdenken herausgefordert und gratulieren Lucia Chiarla und ihrem gesamten Team zu diesem tollen Film.
BESTER DOKUMENTARFILM
Der new berlin film award in der Kategorie Bester Dokumentarfilm
dotiert mit einem Sachgutschein für die Nutzung des digitalen Gradings inkl. Personal im Wert von 5.000 Euro, gestiftet von ARRI Media
KOLYMA – STRASSE DER KNOCHEN
Regie: Stanislaw Mucha
Begründung der Jury Dokumentarfilm: Der Film nimmt uns mit auf eine Reise entlang der Fernstraße Kolyma, 2000 km von Magadan bis ins tiefste Sibirien – eine unwirtliche und lebensfeindliche Gegend, auf der ein kollektives Trauma lastet. Humorvoll trifft Stanislaw Mucha auf die grausamen, skurrilen und spannenden Geschichten dieser entlegenen Region und ihrer Bewohner.
Vor unseren Augen entblättert sich ein Kaleidoskop unterschiedlichster Schicksale, die uns vereinnahmen und unter die Haut gehen. Ohne das Grauen direkt zu zeigen, hinterlassen die Erzählungen über die Verbrechen ein eindringliches Bild im Kopf der Zuschauer. Es geht um die Vernichtung von Millionen, deren Spuren langsam verschwinden.
Stanislaw Mucha gelingt es mit charmanter Penetranz, eine Atmosphäre zu schaffen, die es den Menschen ermöglicht, über lang Verdrängtes zu sprechen und aus sich herauszukommen. Welchen Menschen gelingt es, in dieser Region zu überleben? Wie überstehen sie die harten Bedingungen? Was charakterisiert die Menschen 32 Jahre nach der Perestroika? Mit seinem vorurteilsfreien, wahrhaftigen Blick auf die Menschen, zeigt uns Mucha eine schwer zugängliche Kultur, ja, die Seele eines entlegenen Landstriches.
Eine lobende Erwähnung erhält:
FAREWELL HALONG
Regie: Duc Ngo Ngoc
Begründung der Jury Dokumentarfilm: Der Film FAREWELL HALONG erlaubt uns einen ungewöhnlich nahen Einblick in die Welt der Familie Van Coung, die ihr Heim auf dem Wasser verlassen muss, um das fluorierende Geschäft mit den Touristen nicht weiter zu stören. Farewell Halong erzählt auf eine unaufdringliche und doch intensive Weise die großen Probleme der Welt im Kleinen: Verdrängung der Armen, Umweltverschmutzung, Perspektivlosigkeit und die Folgen des Massentourismus.
Der Regisseur Duc Ngo Ngoc konzentriert sich nicht nur auf die Räumungsaktion des schwimmenden Dorfes, sondern erlaubt uns einen intimen und vielschichtigen Einblick in die Beziehungen einer Familie, die versucht ein kleines Glück zu finden und zu halten. Wir erleben, dass Modernisierung und ein besserer Lebensstandard nicht unbedingt zu einem glücklicheren Leben führen. Duc ist ein vielschichtiges und sensibles Porträt einer Familie gelungen, eine Elegie über die Unmöglichkeit eines erzwungenen Neuanfangs.
BESTES DREHBUCH
Der new berlin film award in der Kategorie Bestes Drehbuch dotiert mit einem Preisgeld von 2.000 Euro in bar, gestiftet von Hahn Film
ZWEI IM FALSCHEN FILM
Regie & Drehbuch: Laura Lackmann
Begründung der Jury Drehbuch: „Komik ist Wahrheit und Schmerz.“ (John Vorhaus)
Jeder Drehbuchpreis ist aus zwei Gründen eine hocherfreuliche Angelegenheit: Er richtet den Scheinwerfer auf das geschriebene Wort – also auf den Film, der stets vor dem Film ist. Und er belohnt diejenigen, die diesem Film auf dem Papier zu einer ersten Wirklichkeit verhelfen, ohne Kalkulation, Disposition oder marktstrategisches Denken; dafür aber mit vollem Bewusstsein, aller thematischen Tiefe und einer visionären Kraft, die dem fertigen Film als Gesamtkunstwerk in nichts nachstehen muss.
Wir zeichnen das Drehbuch von Laura Lackmann aus, weil uns diese visionäre Kraft auf jeder Seite anspricht: mit Dialogen, die das Thema des Films bis zur untersten Schicht des Bodensatzes ergründen; mit einem Ensemble, das gekonnt und mit vollem Bewusstsein zwischen Realität und Überzeichnung changiert; mit Figuren, die die Autorinnenvision vom verlorenen Blick bis zur exaltierten Gefühlsexplosion ein zweites Mal – im zweiten Film – lebendig werden lassen.
Vor allem aber – und im Unterschied zu vielem, was in Deutschland als Komödie verkauft wird – hat Laura Lackmann verstanden, wie Komik funktioniert. Komik ist Wahrheit und Schmerz – Zwei im falschen Film bringt uns zum Lachen über Dinge, die eigentlich zum Heulen sind. Davor verbeugen wir uns – und dafür sagen wir: Danke!
Eine lobende Erwähnung erhält:
REISE NACH JERUSALEM
Regie & Drehbuch: Lucia Chiarla
Begründung der Jury Drehbuch: Die Autorin – und gleichzeitig Regisseurin – Lucia Chiarla lässt das Publikum auf eindrucksvolle Weise miterleben, was es heißt, wenn sich das Leben anfühlt wie „Reise nach Jerusalem“ spielen – die Musik hört auf, aber kein Stuhl ist mehr frei. Klug, spannend, tragisch und voller feiner Komik erzählt der Film die Geschichte der 39-jährigen Alice, gut ausgebildet, arbeitslos und fest entschlossen, nicht aufzugeben. Lucia Chiarla hat eine Frauenfigur geschaffen, – die nebenbei gesagt ganz ohne Love-Interest auskommt – der wir alles glauben, egal wie absurd die Situationen sind, egal wie grotesk sich alles zuspitzt. Das verdankt Reise nach Jerusalem nicht nur dem großartigen Spiel von Eva Löbau, sondern auch der Konsequenz und Genauigkeit dieses Drehbuchs, aus dem ein herausragender und zutiefst bewegender Film wurde!
BESTE PRODUKTION
Der new berlin film award in der Kategorie Beste Produktion
dotiert mit einem Sachpreis für die Postproduktion. wave-line stiftet Leistungen im Wert von 3.000 Euro wie Tonmischung, Schnitt und Colour Grading
LOMO – THE LANGUAGE OF MANY OTHERS
Produktion: Martin Heisler, Eva Kemme (FlareFilm)
Begründung der Jury Spielfilm: Die Produzenten eines Films ermöglichen ihn.
Sie tun dies im besten Fall nicht nur finanziell oder weil sie ihr Talent für Organisation einbringen. Nein, sie sind oft bereits schon früh in die Drehbuchentwicklung involviert, nutzen Gespür und Erfahrung, um das Projekt an die passenden Partner heran zu tragen und sind maßgeblich an der Findung eines möglichst harmonischen und das Projekt kreativ unterstützenden Teams und Casts beteiligt. Sie achten im besten Fall darauf, den Regisseuren während des Drehs mit nötigem Freiraum den finanziellen und zeitlichen Rahmen zu halten und das Projekt zu schützen. Sie unterstützen die Handschrift und das Gespür der Regisseurin/des Regisseurs in den Postproduktionsvorgängen, um dann einen möglichst runden und außergewöhnlichen Film in der passenden Form an die Öffentlichkeit zu tragen.
Das ist oft ein langer Weg, der Kraft, Weitsicht und Ausdauer verlangt. Martin Heisler von Flare Film, Eva Kemme von Basis Berlin und ihre Teams scheinen diese Qualitäten bei LOMO durchweg und herausragend gut eingebracht zu haben. Wir sind beeindruckt von der sogartigen, mit eigener Bildsprache überraschenden, intensiven, künstlerisch und qualitativ hochwertigen Wirkung ihrer Produktion LOMO und gratulieren herzlich dazu.
BESTE REGIE
Der new berlin film award in der Kategorie Beste Regie ein Technikgutschein für die Anmietung von digitaler Kameratechnik mit einem Volumen bis 2.000 Euro, gestiftet von SEE YOU RENT
SARAH JOUE UN LOUP-GAROU
Regie: Katharina Wyss
Begründung der Jury Spielfilm: In Sarah joue un loup-garou begibt sich Katharina Wyss gemeinsam mit ihren Schauspielern und ihrem Kameramann Armin Dierolf auf eine filmische Reise mit klarem Konzept und Mut zum freien Fall. Sie sucht nach einem Weg, der im Kino noch nicht begangen wurde. Sie geht dabei über Grenzen und bleibt trotzdem bei sich. Konsequent entwickelt sie Schritt für Schritt ein starkes Stück Kino, einzigartig und überzeugend. Der New Berlin Film Award Beste Regie geht an Katharina Wyss für ihr unter die Haut gehendes Spielfilmdebüt Sarah joue un loup-garou.
BESTE KAMERA
Der new berlin film award in der Kategorie Beste Kamera die Realisierung einer hochwertigen Kameraeinstellung (‚One Good Shot’) im Wert von bis zu 3.000 Euro, gestiftet von und einzulösen bei ARRI Rental Berlin
KINDSEIN – ICH SEHE WAS, WAS DU NICHT SIEHST!
Regie & Kamera: Lilian Nix
Begründung der Jury Dokumentarfilm: Die geballte Kraft kindlicher Lebensfreude strotzt aus den Bildern, mit denen uns Lilian Nix in die Welten von vier Kindern entführt. In die Eintönigkeit von Berlin-Marzahn; die bunten, vom Zahn der Zeit zerfressenen Fassaden von Havanna; in meterhohe Müllberge im Slum von Mumbai und eine winzige Ein-Zimmer-Wohnung in Tokyo.
Stets auf Augenhöhe, einfühlsam und liebevoll kommen wir ihren Protagonisten nahe, erfahren ihre Gedanken, Träume und Ängste. Lilian Nix lässt uns durch ihre bemerkenswerte, konsequente und originelle Kameraarbeit für die Dauer des Films in diese Welt der Kinder eintauchen. Erwachsene bleiben angeschnitten oder außen vor. Die Welt der Kinder und ihre Wahrnehmung steht im Vordergrund, fast als hätten sie ihre eigene kleine Welt, in die die Kamera eingeladen wird. Lilian Nix schenkt uns Bilderwelten und Situationen voller Magie, Farben und Humor, an denen man sich kaum satt sehen kann.
BESTER SCHAUSPIELER
Der new berlin film award in der Kategorie Bester Schauspieler
dotiert mit 750 Euro in bar, gestiftet von Darling Berlin (ucm.one)
JONAS DASSLER
LOMO – THE LANGUAGE OF MANY OTHERS
Regie: Julia Langhof
Begründung der Jury Spielfilm: Was braucht der beste Schauspieler? Vermutlich Charisma, Authentizität, eine gute Stimme und er muss einen über die gesamte Länge des Films in seine Gefühlswelt blicken lassen. Wenn er das noch dazu als Antiheld schafft, mit dem man leidet und hofft, dann hat er in unseren Juryaugen den Preis für den besten Schauspieler verdient.
Mit entwaffnender Leichtigkeit und überzeugender Präsenz prägt Jonas Dassler als Protagonist den Film LOMO und wir freuen uns, ihm den New Berlin Film Award für den besten Schauspieler zu überreichen.
BESTE SCHAUSPIELERIN
Der new berlin film award in der Kategorie Beste Schauspielerin dotiert mit 750 Euro in bar, gestiftet von Darling Berlin (ucm.one)
EVA LÖBAU
REISE NACH JERUSALEM
Regie: Lucia Chiarla
Begründung der Jury Spielfilm: Zum Lachen zu traurig, zum Weinen zu komisch. Eva Löbau gelingt in Reise nach Jerusalem eine kaum aushaltbare Gratwanderung, die einen schonungslosen Blick auf unsere Gesellschaft wie ein kostbares Geschenk offenbart.
Ihre Figur Alice ist voller fein angelegter Details, überraschend und mit blitzgescheitem Humor versehen. Immer mutig, immer auf das Ganze gehend und niemals sentimental. Das hat uns zutiefst berührt. Wir freuen uns den new berlin fol award für die Beste Schauspielerin an Eva Löbau vergeben zu dürfen.
BESTER MITTELLANGER FILM
Der new berlin film award in der Kategorie Bester Mittellanger Film dotiert mit einer Unterstützung für Luftaufnahmen inkl. Aufstiegsgenehmigung für einen Tag (1 Drehort) im Wert von 2.000 Euro, gestiftet von Evolair
ES IST EGAL, ABER
Regie: Christoph Ischinger
Begründung der Jury Mittellanger Film: Es ist egal aber …handelt von einem sympathischen Schluffie Mitte 30 mit leichtem Alkoholproblem, dessen Leben zunehmend außer Kontrolle gerät. Erst muss er wieder bei seinem Vater in Bonn einziehen, dann weist ihn seine Jugendliebe ab, einen Job findet er ohnehin nicht. Doch Charlie will sich jetzt unbedingt behaupten im Leben – wenn es sein muss eben auf der schiefen Bahn.
Es ist egal aber … ist ein schnörkelloser, geradlinig erzählter, bescheidener Film. Hinter der scheinbar einfachen Geschichte verstecken sich aber ein feines Gespür für Pointen und Timing, geschliffene Dialoge, ein eleganter Schnittrhythmus und vielschichtige Figuren.
Allen voran der Hauptdarsteller spielt seinen zwischen Tollpatschigkeit und archaischer Männlichkeit zerrissenen Charlie mit solch überzeugender Leichtigkeit, dass man glaubt ihn zu kennen. Mit ähnlicher Mühelosigkeit balanciert Regisseur Ischinger Tragik und Komik in seiner Geschichte.
Diese schnodderige Leichtigkeit in Regie, Kamera, Schnitt und Schauspiel verleihen dem Film einen hohen Unterhaltungswert und einen Groove, der den Zuschauer fast im Sessel mitwippen lässt – und die Jury überzeugt hat.
Eine lobende Erwähnung erhält:
VERÃO SATURNO
Regie: Mónica Lima
Begründung der Jury Mittellanger Film: Schon mit den ersten Bildern gibt der Film eine Ästhetik und Ruhe vor, die uns in die Trägheit des spätsommerlichen Südens eintauchen lässt. Mit wenigen Dialogen erzählt uns VERÃO SATURNO (SUMMER SATURN) von dem Musiker Samuel, der mit seiner portugisischen Freundin in Berlin lebt.
Als er für ein Konzert in seine Heimatstadt Lissabon kommt, übernachtet er bei der Mutter seiner Freundin. Während zwischen den Beiden eine zarte Erotik entsteht, schafft es Regisseurin Mónica Lima mit präzisen Auslassungen, ihre Protagonisten vielschichtig zu zeichnen. So erscheint hinter der angedeuteten Amour Fou das verlorene Gefühl einer Generation von Künstlern in Großstädten. Wir vergeben eine lobende Erwähnung für VERÃO SATURNO und seine bittersüsse Atmosphäre, in die wir uns gerne haben fallen lassen.
BESTER KURZFILM
Der new berlin film award in der Kategorie Bester Kurzfilm dotiert mit 1.000 Euro in bar sowie mit einem Gutschein für eine Woche Kamera-, Licht- und Tonequipment für eine HDTV-Produktion, gestiftet von ALEX Berlin
RIEN NE VA PLUS
Regie: Sophie Linnenbaum
Begründung der Jury Kurzfilm: Mittendrin: Ein Mann versucht das Geräusch des Windes am Telefon nachzuahmen. Das ihm das gelingt, ist genauso erstaunlich, wie alle anderen Behauptungen des Filmes: Mann mit Selbstmordabsicht auf einem Hochhausdach, gleichzeitiger Casinoüberfall und eine Geisel, die den Hochhaus-Suizid am Telefon verhindern will. Regisseurin Sophie Linnenbaum und ihr Team zaubern aus diesem Setting einen kurzweiligen und sensiblen Genre-Film, der Spass macht. Unser grosser Respekt dafür gilt dem Drehbuch, dem Spiel der Darsteller und der Bildsprache, die die Geschichte schnurstracks zu buchstabieren weiss.
MUTIGSTER KURZFILM
Der new berlin film award in der Kategorie Mutigster Kurzfilm dotiert mit einem Gutschein für die Miete von Filmtechnik im Wert von 1.000 Euro, gestiftet von Kameraverleih 25p*cine support
WAS WIR WISSEN
Regie: Lotta Schwerk
Begründung der Jury Kurzfilm: „Was wir wissen“ erzählt eine Liebes-Dreiecksgeschichte unter pubertierenden Mittelschichts-Teenagern, die nicht recht wissen wo sie hin rebellieren sollen , weil sie keine Probleme haben außer langweilige Lehrer und zuviel Zeit. Mit wackeligen aber meist starken Handkamera-Bildern und wenig Dialogen erzählt der Film wie das Mädchen Zome erst mit Tomke knutscht, aber dann mit Bruno fremdgeht und am Ende verwirrt ist.
In schwachen Momenten wirkt der Film scheinbar gewollt unkonventionell, in guten Momenten entfaltet er eine ungeschliffene Rohheit, die an den 90er Jahre US-Film-Meilenstein „Kids“ von Larry Clark denken lässt.
Statt einer Liebes-Szene sieht man Zome und Tomke, wie sie sich mit Marshmallows vollfressen, bis Zome kotzen muss. Die Szene vermittelt eine eigenartige ungelenke Intimität und Bilder, die im Kopf bleiben. Gleiches gilt für eine entzückende Szene am Rande der Bescheuertheit, in der Tomke dem Mädchen Zome, die immer eine Katze haben wollte, lauter Katzen-Tattoos ins Gesicht klebt. Die Szene ist albern und liebevoll zugleich, fast obszön. Man spürt förmlich den Drang der jungen Filmemacher Lotta Schwerk und Fion Mutert sich abseits ausgetretener Erzählpfade, Bilder und Dialoge zu bewegen. Das gelingt dem Film nicht immer, aber manchmal. Dieses Wagnis eine eigene Filmsprache zu entwickeln zeichnet „Was wir wissen“ als „mutigsten Kurzfilm“ aus.
BESTER DOKUMENTARFILM MITTELLANG/KURZ
Der new berlin film award in der Kategorie Bester Dokumentarfilm Mittellang/Kurz dotiert mit einer kostenlosen AG DOK Mitgliedschaft für ein Jahr sowie der Teilnahme an zwei Seminaren der AG DOK Akademie im Wert von 600 Euro, gestiftet von der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK)
ANDERSWO
Regie: Adrian Figueroa
Begründung der Jury Kurzfilm: Anderswo gibt acht Berliner Knastinsassen sprichwörtlich eine Bühne. Sie formulieren ihre Fantasien direkt in die Kamera, reflektieren Fragmente ihrer persönlichen Geschichte und inszenieren sich in Kostümen und vor Greenscreen an plastik-bunten, schräg-surrealen Orten in einem stillgelegten Trakt „ihres“ Gefängnisses. Anderswo verstört – weil es keine Suche nach Wahrheiten gibt. Die Taten und Opfer bleiben im Dunkeln verborgen. Doch wenn die Träume der Insassen, die sie dem Regisseur in berührenden Interviews offenbaren, mehr und mehr begrenzt erscheinen und quasi selbst auf Zellengröße schrumpfen, trifft Anderswo in der Magengegend.
Eine lobende Erwähnung erhält:
JOE BOOTS
Regie: Florian Baron
Begründung der Jury Kurzfilm: Mit einer enormen, visuellen Kraft in Slowmotion-Bildern fährt die Kamera durch Pittsburgh, USA. Im OFF-Kommentar und den Protagonisten begleitenden Bildern, lernen wir den Veteranen Joe Boots kennen, der mit Offenheit und unerwarteter Selbstreflexion die Folgen seiner Posttraumatischen Belastungsstörung nach dem Irak Krieg erzählt. Die sensible, präzise Arbeit des Regisseurs Florian Baron schafft es ehrlichen Zugang zu seinem Protagonisten zu finden und ordnet sich mit seinem Film, dem Protagonisten, trotz der starken Ästhetik der Bilder, unter.
Der Film verzichtet gänzlich auf Kriegsbilder. Dennoch erschafft er in seinen Alltagsbildern vom heutigen Pittsburgh, eine Spannung, die einen unter jedem Detail eine Explosion erwarten lässt. Die Bild Text-Schere entfacht eine Poesie und bleibt trotz der Härte des Erlebten von Joe Boots berührend positiv.
DER PREIS DER ÖKUMENISCHEN JURY
Der Preis der ökumenischen Jury.
dotiert mit 1.000 Euro in bar, gestiftet von Potsdam TV. Er wird sektionsübergeifend verliehen.
DIE NEUEN KINDER VON GOLZOW
Regie: Simone Catharina Gaul
Begründung der Ökumenischen Jury: Home is where the heart is – doch was ist, wenn das Herz nicht dort ankommt, wo du gut empfangen wirst, sondern dort bleibt, wohin du nicht zurückkehren kannst? Simone Catharina Gaul gelingt mit Die neuen Kinder von Golzow ein liebevolles und gleichermaßen unaufgeregtes Porträt einer syrischen Familie, die im verschlafenen Dorf Golzow im Oderbruchgebiet eine neue Heimat zu finden versucht – eine Heimat, die sie ohne den schrecklichen Krieg so nicht gesucht hätte. Der Film reflektiert aber auch ausgewogen und authentisch, dass um das Verständnis von „Heimat“ nicht nur die sogenannten Gutmenschen mit Willkommensfesten und Schrebergartenanträgen auf der einen Seite und die vielzitierten Wutbürger mit Mistgabeln und Fackeln auf der anderen Seite ringen. Und dass diejenigen, die sehr wohl anerkennen, dass ohne die Neuankömmlinge aus Syrien ihre aus den DEFA-Filmen bekannte Schule hätte geschlossen werden müssen, ihre Zweifel haben, ob ihr Integrationswille auch für 80 junge, allein reisende Männer gereicht hätte.
So wird deutlich, dass die unglaublich starke Protagonistin Halima und ihr Mann Fadi trotz ihrer vielen Unterstützer und Freunde am meisten darunter leiden, dass Golzow für sie niemals so sein wird wie ihre syrische Heimat, während ihre Kinder aber schon ganz selbstverständlich in der Jugendfeuerwehr des Dorfes mitmachen, eine Klasse überspringen oder Fangen auf Deutsch spielen. Wo also beginnt Heimat und wie viel meines Herzens muss schon dort sein?
Die Ökumenische Jury zeichnet Gauls Dokumentarfilm aus, weil er nah an die Menschen in Golzow herankommt und eine Geschichte erzählt, die Partei ergreift für die unterschiedlichen Realitäten der alten und neuen Dorfbewohner und vor allem eines verdeutlicht: dass niemand Heimat, Zukunft und Hoffnung verwehren darf.
DER UNDOTIERTE PREIS DES VERBANDS DER DEUTSCHEN FILMKRITIK (VdFK)
Der undotierte Preis des Verbands der deutschen Filmkritik (VdFK) wird in der Kategorie Bester Spielfilmvergeben
WER HAT EIGENTLICH DIE LIEBE ERFUNDEN?
Regie: Kerstin Polte
Begründung der VDFK-Jury: Wenn ein Filmtitel eine Frage stellt, so will der Zuschauer natürlich eine Antwort darauf finden. Manchmal gibt der Film auch selbst die Antwort. In unserem Preisträgerfilm „Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?“, den Kerstin Polte geschrieben und gedreht hat, stellt ein Kind diese Frage ziemlich am Ende der Story, als alle Verhältnisse aller Protagonisten zueinander ziemlich geklärt sind. So bleibt die Frage im Raum hängen, und der Zuschauer muss – ebenso wie das Kind – die Frage selbst beantworten.
Immer dann, wenn man sich während des Films zurücklehnen und vielleicht mal wegnicken will wie im gängigen Mainstream-Kino, schnippst Kerstin Polte in ihre Drei-Generationen-Erzählung kleine, spitze, schrille, groteske, absurde, extravagante Filmsplitterchen. Die ironisieren und schrecken auf, kippen die Gelassenheit des Films ins Absurde und verfremden. Und gleichzeitig übersetzen sie das Innenleben der Figuren in fantasievolle Bilder, die uns mit hinein nehmen in die Welt der Träume und Gefühle. Sie laden uns außerdem ein, hinter die trügerische Fassade der Ratio zu schauen. Diese hübschen Störungen werden mit gesunder dramaturgischer Ökonomie und kontinuierlich wirklich über den ganzen Film verteilt (und nicht etwa nur an den Anfang gesetzt). Und da machen alle Gewerke mit: die Schauspielerinnen und Schauspieler sowieso, aber ebenso die Kamera, die Filmarchitektur, das Licht. Da ist ein vertrackter Humor am Werke, der nicht eben häufig im Kino anzutreffen ist. Und der wird nicht verbal vorgetragen, sondern er äußert sich durchweg mit filmischen Mitteln.
In dieses Panorama passen auch skurrile Sonder-Figuren, wie jener liebe Gott mit Zottelbart, kleinem Bäuchlein und minimaler Handlungs-Funktion, vor allem aber – als deus ex LKW – die lächelnde Truckerfahrerin im Blaumann und mit einer furiosen Liebesszene im Sandstrand.
Man sollte auch mal kreuz und quer leben, hat Polte gesagt, und mit ihrem Film dazu eingeladen. Die Suche nach einer Antwort auf die Film-Titel-Frage bleibt also einstweilen offen.
Eine lobende Erwähnung erhält:
SARAH JOUE UN LOUP-GAROU
Regie: Katharina Wyss
Begründung der VDFK-Jury: “Ich arbeite lieber frei, ich habe die besseren Ideen“, sagt Sarah, die Hauptfigur aus Katharina Wyss‘ außergewöhnlichem und mysteriösem Debütfilm SARAH JOUE UN LOUP-GAROU selbstbewusst zu Beginn in einer Theaterprobe. Der Rest der Gruppe will lieber klassische Stoffe und Figuren. Sarah will das nicht, und Katharina Wyss‘ Film will das auch nicht. Zum Glück. Hier gibt es kein Erklär-Kino, keine klassische Erzählung, keine konventionelle Geschichte, die man in Schubladen stecken könnte. Nein, hier gibt es Freiheit und Radikalität in Form und Inhalt. Sarah, eine junge Frau aus bürgerlichen Schweizer Verhältnissen, interessiert die Realität meist nicht. Sie erfindet den Tod ihres Bruders und vielleicht auch die Existenz eines guten Freundes und baut sich ihre Rollen in dieser Welt immer wieder neu.
Genau wie dieser Film, der – teilweise sprunghaft und oft unvorhersehbar – auch Sarah immer wieder neu baut. In Ausbrüchen, Rollenspielen und gespielten Rollen wird die Frage nach (weiblicher) Identität hier wiederholt unerwartet neu verhandelt. Das Format ist bewusst beschränkt, die Bilder des Kameramanns Armin Dierolf konzentrieren sich auf einen inneren Kosmos, in dem Traum, Alptraum und Performance magisch zerfließen – dazu ein Sound, der das Klassische und das Unheimliche kollidieren lässt. SARAH JOUE UN LOUP-GAROU spricht eine sehr eigene Sprache, die das Kino neu hinterfragen will.
Loane Balthasar spielt Sarah vollkommen angstfrei und kompromisslos – und ist dabei eine Sensation. Wir freuen uns über den Mut und den Willen zum künstlerischen Kino, das keine Zugeständnisse an einen vermeintlichen Publikumsgeschmack zu machen bereit ist , und hoffen in Zukunft noch viel von Katharina Wyss, ihrer Freiheit und ihren Ideen im Kino zu sehen.
THE EXBERLINER FILM AWARD
The Exberliner Film Award
dotiert mit einem Technikgutschein für die Anmietung von Virtual Reality-Equipment im Wert von 1.000 Euro, gestifet von Grover. Er wird sektionsübergreifend an einen herausragenden Film verliehen, der die Interkulturalität Berlins fördert oder von einer Filmemacherin / einem Filmemacher mit internationalem Hintergrund realisiert wurde.
REISE NACH JERUSALEM
Regie: Lucia Chiarla
Die Begründung der Exberliner-Jury: First of all, there was a consensus that we all enjoyed the movie from a spectator perspective. Secondly, we wanted to choose a movie with strong female representation, that showed a woman in an unconventional and interesting situation. Also, we thought the lead actress did an amazing job, and we thought giving the award to a young female director also gave a strong message about representation in film. Thirdly, the film is set in Berlin but shows a side of the city that you don’t always see, and would appeal to ExBerliner’s readership.
TERMIN VORMERKEN! Der 15. achtung berlin – new berlin film award – das Festival für neues Kino aus Berlin- Brandenburg – findet vom 10. – 17. April 2019 in verschiedenen Kinos in Berlin und Brandenburg statt.
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