Mit einer feierlichen Preisverleihungsgala ist das 35. Internationale FILMFEST MÜNCHEN am Samstag (1. Juli 2017) zu Ende gegangen. Zum Abschluss des Festivals wurde nach der Preisverleihung der Film „Ihre beste Stunde“ von Lone Scherfig als Deutschlandpremiere im ausverkauften Carl-Orff-Saal gezeigt.
ARRI/OSRAM Award
Als bester internationaler Film wurde der Film „Loveless“ von Andrey Zvyagintsev mit dem ARRI/OSRAM Award ausgezeichnet. Der russische Regisseur gewinnt damit bereits zum zweiten Mal den ARRI/OSRAM Award. „Loveless“ erzählt von Boris und Zhenya, die sich durch eine grausame Scheidung voller Hass und gegenseitiger Vorwürfe arbeiten. Beide haben bereits neue Partner gefunden, beide möchten so schnell wie möglich die Vergangenheit hinter sich lassen. Zu dieser Vergangenheit gehört auch der gemeinsame Sohn Alyosha, der plötzlich spurlos verschwindet. „Loveless“ gewann den Preis der Jury auf den Filmfestspielen in Cannes. Der Film „erzählt auf eindringliche Weise und ohne jegliches Pathos über das (tragische) Verschwinden eines Kindes in einer Familie, in der Mitgefühl verschwunden zu sein scheint“, sagt die Jury. „Darüber hinaus kreiert er das Bild einer fremdbestimmten Gesellschaft, in der der Einzelne nur mit sich selbst beschäftigt ist. Liebe und Empathie sind abwesend und trotzdem sehr präsent in diesem meisterhaft gestalteten Film.“
Die Jury des ARRI/OSRAM Awards bildeten in diesem Jahr Regisseurin Valeska Grisebach („Western“), Produzent Markus Zimmer und Schauspielerin Nastassja Kinski. Im Wettbewerb um den ARRI/OSRAM Award für den besten internationalen Film in der Reihe CineMasters standen die neuesten Filme von zwölf namhaften Regisseuren und Regisseurinnen. Der mit 50.000 Euro dotierte Preis wird von den Münchner Unternehmen ARRI und Osram gestiftet. Die Produzenten Alexander Rodnyansky und Serguey Melkumovnahm nahmen den Preis entgegen. Eine besondere Erwähnung bekam der belgische Film „Home“ (Regie: Fien Troch, Produzent: Antonino Lombardo).
CineVision Award
Mit dem CineVision Award für den besten internationalen Nachwuchsfilm wurde „A Fábrica de Nada“ von Pedro Pinho ausgezeichnet. Darin kommt eine Gruppe Fabrikarbeiter dahinter, dass ihr Arbeitgeber seine eigenen Gerätschaften stiehlt. Die Produktion soll verlagert werden, deshalb nehmen die Arbeiter den Kampf auf. „Ein bewegendes Drama, ein schräges und witziges Musical, ein genau beobachtender Dokumentarfilm, ein herausfordender Essayfilm – wir bekommen vier Filme in einem bei diesem herausragenden Beitrag über unser Leben im Turbokapitalismus: Pedro Pinhos „A Fábrica de Nada“. Bezüglich Inhalt und Ästhetik füllt er seine dreistündige Laufzeit beeindruckend klug und komplex aus“, so die Jury. „Der Film erzählt die Geschichte einer Gruppe Fabrikarbeiter, die ihre Jobs verlieren, aber sich weigern aufzugeben. Die Geschichte wird auf sehr empathische Weise erzählt, gespielt und gefilmt, jedoch ohne billiges Mitleid erregen zu wollen. Der Film liefert keine leichten Antworten, sondern zwingt uns selber nachzudenken. Es ist eine aufrüttelnde und höchst unterhaltsame Form von Agitprop für das 21. Jahrhundert.“
Der CineVision Award im Wert von 12.000 Euro wird in diesem Jahr von der MPLC Deutschland GmbH (Motion Picture Licensing Company) gestiftet. Im Wettbewerb in der Reihe CineVision standen zwölf Erstlings- und zweite Filme internationaler Regietalente, die mit ihrer Filmsprache neue Wege beschreiten. Die Preisjuroren waren in diesem Jahr die Gründerin der Women Film Group Hyosook Hong, Produzent und Geschäftsführer der Razor Film Produktion GmbH Roman Paul und Autorin, Filmemacherin und Coach Sonja Heiss. Entgegengenommen hat den Preis Tiago Hespanha, Regieassistent und Drehbuchautor von „A Fábrica de Nada“. Eine besondere Erwähnung erhielt „Los Perros“ von der chilenischen Regisseurin Marcela Said.
FIPRESCI-Preis
„Blind & Hässlich“ von Tom Lass gewinnt den FIPRESCI-Preis 2017. Die Jury des internationalen Kritikerverbandes vergibt den FIPRESCI-Preis an den dritten Film eines vielverspechenden jungen Autorenfilmers, der hier zu einem sensiblen Thema das Drehbuch mitgeschrieben, mitproduziert, Regie geführt und die männliche Hauptrolle gespielt hat. Die Jury lobt die ausgewogene Mischung aus Drama, Komödie und Romanze, sowie die gelungene Besetzung.
Publikumspreise
Am letzten Festivaltag wurden auch die Publikumspreise des FILMFEST MÜNCHEN vergeben. Den Bayern 2 und SZ Publikumspreis erhielt der Film „Immer noch jung“ von David Schlichter und Fabian Halbig. Der Film porträtiert die Geschichte von vier Jungs aus Dillingen an der Donau, die einander in der Schule kennenlernten und Deutschrock spielen wollten: die Band Killerpilze.
Der Kinderfilmfest-Publikumspreis ging dieses Jahr an das Regieteam Jakob Schuh, Jan Lachauer und Bin Han To für ihren Animationsfilm „Es war einmal…nach Roald Dahl“ („Revolting Rhymes“), eine Koproduktion von BBC und ZDF. Jakob Schuh und Jan Lachauer nahmen den Preis in München persönlich entgegen. Schneewittchen, Rotkäppchen und ein paar andere klassische Märchen – einmal in einen großen Sack gekippt, durchgeschüttelt und wieder rausgefischt. Was herauskommt, sind ganz neue Geschichten. Rotkäppchen und Schneewittchen werden beste Freundinnen und nehmen die Sache selbst in die Hand. Da kapituliert sogar der böse Wolf. Es ist ein großer Spaß, diesem Verwirrspiel zuzuschauen, das die Oscar-nominierten Regisseure liebevoll animiert haben.
ONE-FUTURE-PREIS
Der ONE-FUTURE-PREIS, verliehen von der Interfilm-Akademie, geht in diesem Jahr an den italienischen Film „Cuori Puri“. Die Jury begründet ihre Entscheidung mit den Worten: „Roberto de Paolis vielschichtiger Debütfilm eröffnet einen intelligenten und sehr berührenden Blick auf die gesellschaftspolitischen Probleme des heutigen Italien. Zunächst scheinbar nur ein Liebesfilm über zwei junge Menschen aus sehr unterschiedlichen sozialen Milieus, nimmt der 1980 in Rom geborene Regisseur die Flüchtlingsthematik zunehmend in den Fokus.“
Die Gewinner: Förderpreis Neues Deutsches Kino
Am heutigen Freitag, den 30. Juni, wurden auf dem FILMFEST MÜNCHEN deutsche Nachwuchstalente mit dem begehrten Förderpreis Neues Deutsches Kino ausgezeichnet. Die Jury – Produzentin Verena Gräfe-Höft, Produzent Michael Weber und Schauspieler Edgar Selge – bedachte „Sommerhäuser“ mit zwei Preisen: Sonja Maria Kröner wurde für die Beste Regie ausgezeichnet; Philipp Worm und Tobias Walker für die Beste Produktion.
In ihrem Debütfilm unternimmt Kröner eine Zeitreise in die 1970er Jahre und zeichnet in atmosphärischen Bildern das Porträt einer Familie. Darin wird im schwülen Sommer des Jahres 1976 der Familiengemeinschaftsgarten zum Schauplatz absurder, komischer Situationen. Die Jury begründet ihre Entscheidung so: „Mit dem Mut zum entschleunigten Erzählen zeigt uns die Regisseurin dennoch welche elektrifizierende Kraft unter der Oberfläche von Familienstrukturen schlummert.“
Annika Meier wurde für ihre Rolle in Arne Feldhusens Techno-Trip „Magical Mystery oder: die Rückkehr des Karl Schmidt“ mit dem Preis als Beste Darstellerin ausgezeichnet: „In einer wilden Truppe durchgeknallter Stars der DJ- und Techno-Szene, deren Zentrum grandios von Charly Hübner verkörpert wird, ragt die Schauspielerin Annika Meier durch ihr knappes, direktes und ernsthaftes Spiel heraus“, so die Jury. „Es ist die Konsequenz, mit der die Schauspielerin ihre Beziehung zum labilen Karl Schmidt alias Charly Hübner Stück für Stück durchsetzt, die beeindruckt.“
Julia Langhof und Thomas Gerhold erhalten für „Lomo – The Language of Many Others“ den Preis für das Beste Drehbuch. Die Zwillinge Karl und Anna stehen kurz vor dem Abitur: Während die ambitionierte Anna schon ziemlich genau weiß, wie ihr Leben verlaufen soll, widmet Karl lieber seine ganze Aufmerksamkeit seinem Blog „The language of many others“. Dort postet er unter anderem auch persönliche Aufnahmen seiner eigenen Familie, was Karls Verhältnis zu seinem Vater vor eine Zerreißprobe stellt.
Der Förderpreis Neues Deutsches Kino ist einer der wichtigsten und höchstdotierten Nachwuchspreise in Deutschland. Gestiftet wird der insgesamt mit 70.000 Euro dotierte Preis von der Bavaria Film, dem Bayerischen Rundfunk und der DZ Bank. Nominiert sind automatisch alle RegisseurInnen, DrehbuchautorInnen, SchauspielerInnen und ProduzentInnen, die ihre Spielfilme in der Festivalsektion Neues Deutsches Kino vorstellen, sofern es sich um ihren ersten, zweiten oder dritten langen Kinospielfilm handelt. Bei Produzenten darf es maximal der sechste Film sein.
Die Preisverleihung und die anschließende Party fanden heute Abend in der Hochschule für Fernsehen und Film München statt – eine ausgelassene Feier für den jungen deutschen Film.
Die Preisträger Förderpreis Neues Deutsches Kino 2017 – Die Begründungen der Jury
Förderpreis Neues Deutsches Kino: REGIE (30.000 Euro)
Sonja Maria Kröner für „Sommerhäuser“
Wir waren beeindruckt von der virtuosen Regieführung, die scheinbar mühelos ein generationsübergreifendes Schauspielensemble durch den Mikrokosmos eines Gartens dirigiert. Mit dem Mut zum entschleunigten Erzählen zeigt uns die Regisseurin dennoch welche elektrifizierende Kraft unter der Oberfläche von Familienstrukturen schlummert. Für diese besondere Regieleistung möchten wir Sonja Maria Kröner für ihre Arbeit an „Sommerhäuser“ auszeichnen.
Förderpreis Neues Deutsches Kino: SCHAUSPIEL (10.000 Euro)
Annika Meier für „Magical Mystery oder: die Rückkehr des Karl Schmidt“
In einer wilden Truppe durchgeknallter Stars der DJ und Technoszene, deren Zentrum grandios von Charly Hübner verkörpert wird, ragt die Schauspielerin Annika Meier durch ihr knappes, direktes und ernsthaftes Spiel heraus. Das ist in diesem großartigen, figurenreichen Ensemble auf seiner chaotischen Magical Mystery Tour eine verblüffende Leistung. Es ist die Konsequenz, mit der die Schauspielerin ihre Beziehung zum labilen Karl Schmidt alias Charly Hübner Stück für Stück durchsetzt, die beeindruckt. Durch alle 16 Filme hindurch in dieser Münchner Filmfestwoche bleibt ihr Spiel im Gedächtnis.
Förderpreis Neues Deutsches Kino: DREHBUCH (10.000 Euro)
Julia Langhof und Thomas Gerhold für „Lomo – The Language of Many Others“
Wir möchten in der Kategorie Drehbuch zwei Autoren auszeichnen, die bewiesen haben, dass sie wussten was sie erzählen wollten. Sehr klar beschreiben sie einen Aspekt, ein Lebensgefühl einer jungen Generation, für die die unendlichen Weiten des Internets längst alltäglich geworden sind. Die weitreichenden Auswirkungen sind es hingegen nicht immer unbedingt. In einer der schönsten Schlüsselszenen des Films verdeutlichen dies die unbestimmten Stimmen, inszeniert als Allegorie wie ein griechischer Chor. Für diese herausragende Bucharbeit herzlichen Glückwunsch an Julia Langhof und Thomas Gerhold. („Lomo – The Language of Many Others“)
Förderpreis Neues Deutsches Kino: PRODUKTION (20.000 Euro)
Philipp Worm und Tobias Walker für „Sommerhäuser“
Wir kommen zur Kategorie Produktion. Hier möchten wir den Film und seine Produzenten auszeichnen, die durch das Zusammenspiel aller Gewerke die Klaviatur des Filmherstellens perfekt (gekonnt) beherrschen. Sie präsentieren uns ihren Film wie ein reinigendes Sommergewitter, um einem wundervollen Schauspielensemble dabei zuzusehen, wie sie uns die Komplexität des normalen Lebens spiegeln. Wir freuen uns sehr, Tobias Walker und Philipp Worm für „Sommerhäuser“ auszuzeichnen.
Wir gratulieren allen Preisträgern des 35. FILMFEST MÜNCHEN.
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